Abriss
In einer einige hundert Jahre vor uns liegenden Zukunft haben vielfältige Lebensformen Kontakt zueinander gefunden.
Sie entdecken das Interesse aneinander, an ihren Unterschieden nicht nur im physischen Sinn, sondern insbesondere an den gesellschaftlichen Besonderheiten.
Die Basis des Weltraumtourismus in dieser Zukunftswelt ist die Erforschung von Arten der Existenzbewältigung mit der dahinterliegenden geistigen und philosophischen Landschaft.
So treffen Weltraumtouristen, welche die Erde besuchen, in Workshops und Seminaren aufeinander und lernen jeweils von den anderen Lebensformen.
Die Erkenntnis, dass der eigene Standpunkt wohl nicht der einzig wahre ist, nehmen die Touristen mit.
Denn das Leben könnte auch ganz anders sein.
Leseprobe: Der Donut-Planet taucht auf
Der Eder war gerade in einer sensiblen Phase seiner planetaren Geburt. Er hatte bereits eine klare kugelähnliche Form angenommen. Seine Gesteins- und Metallbestandteile, die ihm einen festen Zustand in Aussicht stellten, waren noch heiß und flüssig. Der Planet Eder war drauf und dran, runter zu kommen, abzukühlen, sich zu beruhigen. Da kam dieser riesige Brocken daher, wuchtete sich in ihn hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus. Das alles passierte mit einer affenartigen Geschwindigkeit. Der Baby-Planet wäre gerne ausgewichen. Davon hielt ihn seine Umlaufbahn um das Zentralgestirn Esol ab, in die er eingeklemmt war. Aus der schleuderte ihn das rabaukenhafte Gebilde beinahe hinaus, während es den Newcomer durchbohrte. Damit hätte sich der Eder seine Karriere als belebter Himmelskörper abschminken können. Das mit dem Umkreisen hat er hingekriegt. Die Bestandteile aber, die das herumfliegende Monster aus dem werdenden Planeten herausgerissen hatte, waren für immer verloren. Er hatte ein richtiges Loch. Von diesem dramatischen Zwischenfall an rotierte er in Form eines Donuts um seine Sonne.
Eders weitere Entwicklung verlief ähnlich wie die von vielen anderen Trabanten, die ihren Stern in einer bewohnbaren Zone umkreisen. Er kühlte ab, formte eine feste Kruste, mixte aus den vorhandenen Bestandteilen jede Menge neuer Verbindungen. In der protoplanetaren Scheibe, aus der er sich bildete, fand sich ausreichend Material, das eine Supernova hinterlassen hatte. Es waren genug höhere Elemente dabei, nicht nur Wasserstoff und Helium. Daraus lässt sich schon etwas basteln. Eigentlich formte es sich von selbst. Außerdem hatte dieser Störenfried, der dem Eder das Loch in seine Kugel riss, jede Menge Wasser zurückgelassen. Damit ließ sich eine brauchbare Ursuppe bereiten. Woher das ungebetene Geschoß die Flüssigkeit nahm, bleibt ein Geheimnis. Das Durchstoßen des Planeten hat es nämlich komplett zerbröselt.
Leseprobe: Eine Dadoin schlüpft
Es vergeht ungefähr ein Ederjahr, was grob 1.200 Edertagen entspricht, bis der aktive Part zu den einzelnen Sinnen einer kleinen Dadoin ausgeprägt ist. Die Passivkomponente ist mit der Geburt einsatzbereit. Die frisch geborenen Dinger schmecken, spüren, hören und sehen, unmittelbar nachdem sie das Ei aufgebrochen haben. Den jeweils zugehörigen aktiven Gegenpart lernen sie sukzessive.
In den ersten Tagen schon spucken sie Schmeckflüssigkeit aus. Die schmeckt nach Muttermilch. Das Ausspucken ist eine Alternative zum Laut für „Ich habe Hunger“. Mit der Zeit essen sie auch andere Nahrung. Dabei üben sie, deren Geschmack zu imitieren. Aber Achtung! Sie lassen nicht die Kost wieder raus, die sie zwecks Energiezufuhr zu sich nehmen. Sie sind in der Lage eine saubere Flüssigkeit zu erzeugen, die gleich schmeckt.
[...]
Eder hat ein weiteres Viertel seiner Umlaufbahn hinter sich gebracht, da erzeugt Joha-Nas Brustbildgeber erste Konturen. Das ist vielleicht ein Spaß, die Vorstellungen im Kopf unmittelbar bildhaft anderen zu zeigen. Da sind der Kreativität ja fast keine Grenzen gesetzt. Joha-Na lernt, nicht alles, was ihr in den Sinn kommt, auf den körpereigenen Monitor rauszulassen. Das kann bald einmal gegen die eigenen Interessen wirken. So hat die kleine Dadoin ihre Instrumente beisammen, die ihr ein Einwirken auf ihre Umwelt ermöglichen. Zu ihrem Repertoire gehören Spucken, Fliegen, Sprechen und Bildgeben. Damit lässt sich schon etwas bewegen. Joha-Na hat vor, ihre Werkzeuge reichlich einzusetzen.
Leseprobe: Kooperation schafft Leben
Die Informationsveranstaltung über die Evolution kooperativer Moleküle auf der Erde, vom Präleben ausgehend, ist am ZIPE, dem Zentrum für interstellare und intergalaktische Präsentation der Erde, die Domäne von Alberto. Sein Gehabe hat immer etwas Gewinnendes. Das wirkt auch auf die meisten der exotischen Besucher so. Von diesem Mann würde man auf Anhieb einen Gebrauchtwagen kaufen, oder eine gebrauchte Teleportieranlage. Seine Haartracht mit den eingefärbten Kontinenten irritiert nur kurz. Sie holt ihn aus der Ecke der Langweiler. In seinen Vorträgen spricht er gelassen, bedächtig und eindringlich. Diesmal über die Kooperation als Geburtshelfer des Lebens.
Alberto bevorzugt systematische oder chronologische Einstiege. Er erzählt in einer Art, die bei den Anwesenden mit ihrem durchaus befremdlichen Aussehen den Eindruck erwecken, er würde sie schon lange kennen. Er vermeidet es bewusst, sich seine erste Begegnung mit den Teilnehmern anmerken zu lassen. In vielen Fällen ist es gar sein Debüt-Kontakt mit irgendeinem Bewohner des Exoplaneten. Er erzählt, wie lange es auf der Erde gedauert hat, bis sich die Kooperation im menschlichen Sozialwesen als bessere Alternative zum Wettbewerb etabliert hatte. Und noch einmal mehr Zeit verging, bis klar wurde, dass kooperative Materie Leben hervorbringt. Die Forschung über solidarische Strukturen ist auf der Erde wenige hundert Jahre alt. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts gab es in den Vorläufern der Kooperationologie ernst zu nehmende Veröffentlichungen zur Kooperation auf molekularer Ebene. Zusammenarbeit war der Geburtshelfer schlechthin für die Entstehung von Leben auf der Erde.
Leseprobe: Information belebt das Universum
Naomis Seminar über das terrestrische Verständnis von Information startet mit einer Exkursion. Ziel ist Gaborone im südlichen Afrika. Die Seminarteilnehmer besichtigen die Anlage zur Speicherung des Universums. Das klingt jetzt ein wenig großspurig, ist es auch. Sämtliche Erdbewohner bezeichnen diese Einrichtung salopp so. Das ist nicht nur im an Diamanten reichen Botswana so üblich. Aus allen Winkeln des Kosmos senden Zivilisationen vorausschauend Information über ihren Planeten und seine Umgebung in das All. Damit ermöglichen sie es anderen entwickelten Lebensformen, sie mittels inverser systemischer Verschränkung zu besuchen. Die Signale werden auf der Erde am über 3000 Meter hohen Cerro Armazones in Südamerika empfangen. Von dort gelangen sie digitalisiert weiter nach Gaborone. Hier werden die Daten geliftet, also analysiert, abgeglichen und qualitätsgesichert. Damit sind sie dann fit für die Speicher aus Diamanten. Das Universum wird in Form von Quantenbits in den Edelsteinen abgelegt. Eh nicht das ganze Weltall, lediglich jene Teile, die jemand in Datenform aufbereitet und quasi als Tratsch in die Weiten des Alls schickt. Auch nicht den Kosmos selbst, sondern bloß Informationen über ihn. Im Universum wird das Universum gespeichert. Pass auf, Leser, dass du nicht in so einen Zirkelbezug hineingerätst, aus dem du nicht wieder rauskommst. Oder du landest codiert als Quantenbits in einem Diamanten. Im Weltall musst du verdammt auf der Hut sein.